von Till Diegeler
Ortsnamenkunde – fachsprachlich auch Toponomastik genannt – beschäftigt sich ganz damit, woher eigentlich die Namen für Dörfer, Städte und ganze Landschaften kommen und was sie bedeuten.
Natürlich weist auch die Ortschaft Harlingerode mit seinem Namen eine wechselvolle Geschichte vor. Zum einen beinhaltet das den Namen an sich, der seit dem 11. Jahrhundert überliefert ist und seitdem in vielen Dokumenten in verschiedenen Varianten gelistet ist. Hinzu kommt die moderne Toponomastik, die im Falle von Harlingerode seit dem 20. Jahrhundert Ergebnisse liefert.
Grundsätzliches
Es ist nicht ungewöhnlich, dass man durch Gegende fährt, die scheinbar immer und immer dieselben Ortsnamen zu haben scheinen. Ein Beispiel ist die A2 zwischen Helmstedt und Mageburg: Erxleben, Irxleben, Alleringersleben, Eilsleben... ziemlich unkreatives Leben, denkt man sich. Oder auch das Land nördlich von Braunschweig, das "Papenteich" heißt und im Volksmund auch gern die Büttelei genannt wird, weil sich Orte wie Rötgesbüttel, Edesbüttel und Isenbüttel wie am Fließband zu wiederholen scheinen.
So ein Phänomen gibt es in Bad Harzburg auch. Das sind die -ingerode-Dörfer.
Nun könnte man natürlich einwenden, dass es eigentlich nur recht wenige sind. Mehr als Harlingerode, Göttingerode, Bettingerode und Wöltingerode gibt es anscheinend in der Nähe nicht.
Das Besondere ist, wie viele -ingerode-Dörfer es nicht mehr gibt.
Und das hat nichts damit zu tun, dass die Bewohner*innen den Ortsnamen nervig fanden.
Man muss bedenken, zu welcher Zeit diese Dörfer entstanden sind. Damals war die Landwirtschaft weit weniger entwickelt und das Land auch viel dünner besiedelt. Somit lebten die Menschen vor über einem Jahrtausend vor allem dort, wo sie es am einfachsten hatten, und das war vor allem in den großen Lössbörden weiter im Norden.
Dörfer wie Gielde, Flöthe, Ohrum und Uehrde mit ihren etwas seltsamen Namen sind tatsächlich richtig alt. Gielde ist seit 2.000 Jahren durchgängig bewohnt, und Ohrum ist zusammen mit Schöningen das am ältesten urkundlich nachgewiesene Dorf in ganz Niedersachsen.
Harlingerode hingegen wurde "nur" vor etwa 1.100 Jahren gegründet, als das Adelsgeschlecht der Billunger diesen Ort als kleines Gutsgelände begründete. Und der Bestandteil -ingerode sagt uns eindeutig, dass es keine schon existierenden Felder waren, sondern das Dorf in einem Wald gegründet wurde, der dafür gerodet wurde.
Damit war Harlingerode kein Einzelfall. Es entstanden zu der Zeit ziemlich viele -ingerode-Dörfer mit Namen wie Külingerode, Alfwerdingerode, Düringerode, Bintingerode und eben auch Göttingerode, Harlingerode und Bettingerode, allesamt im heutigen Stadtgebiet von Bad Harzburg.
Alle außer den letzten beiden sind wüstgefallen. Und ja, das trifft auch auf Göttingerode zu, das erst 1934 ganz neu gegründet wurde.
Die -ingerode-Dörfer wurden grundsätzlich dort gegründet, wo das Land etwas unfruchtbarer war. Die Bevölkerung war im Hochmittelalter im Wachstum begriffen und man wollte in die bislang bewaldeten Gegenden expandieren, sodass die ungünstigeren Böden in Kauf genommen wurden.
Die Konsequenz daraus war, dass die große Mehrheit der -ingerode-Dörfer zwischen Mittelalter und Neuzeit wieder wüstfielen. Dafür ursächlich sind Krisenzeiten, die das Wohnen in den Dörfern entweder zu gefährlich machten, oder einfach zu wenig Einwohner vorhanden waren, die dort leben wollten und dementsprechend in die umliegenden Dörfer siedelten.
Harlingerode hatte in dieser Hinsicht großes Glück, nie (nachweislich) wüstgefallen zu sein und die Krisen des Mittelalters gemeistert zu haben.
Varianten des Namens Harlingerode
Doch wie alt ist der Name „Harlingerode“ denn nun?
Nun, der Name Harlingerode an sich taucht das erste Mal im Stadtarchiv Goslar im Jahre 1266 als „apud Harlingerode“ auf. Durchgängig benutzt wird dieser Name allerdings erst seit dem späten 17. Jahrhundert; im Goslarer Bürgerbuch findet es sich als „von Harlingerode“ im Jahr 1671 wieder.Man darf nicht vergessen, dass Ortsnamen bis in das 19. Jahrhundert unterschiedlich ausgesprochen und geschrieben werden konnten.
Noch im 18. Jahrhundert wurde Harlingerode in der Kurhannöverschen Landesaufnahme als „Harligerode“ (sic!; 1784) geschrieben, und im (heute fast ausgestorbenen) Oker-Platt heißt Harlingerode Harljerue. Und selbst heutzutage wird Harlingerode umgangssprachlich (wenn auch mit einem Augenzwinkern) Harlingtown genannt. Klar wird das nie ein offizieller Name werden, aber man erkennt doch, dass sich immer wieder Varianten entwickeln können.
Ursprünge und Entwicklung des Namens
In Harlingerode wird als „Geburtstag“ gerne der 3. Juni 1053 gefeiert. An dem Tag wurde Harlingerode aber (mit großer Wahrscheinlichkeit) nicht gegründet, sondern hier wurde die Ortschaft erstmals überliefert: Als der damalige deutsch-römische Kaiser Heinrich III. eine Schenkungsurkunde an das Goslarer Domstift ausstellte, wurde die Ortschaft als „predium Heregeltingerot“ (Gut Heregeltingerot) erwähnt.
Ein ziemlich langer Name, der schon vier Jahre später, im Jahr 1057, in einem weiteren Dokument als Herlingerode benannt wird und bis ins 17. Jahrhundert die Hauptform darstellte.Dazwischen liegen fast 600 Jahre, und zu der Zeit wurde in der Region auch kein Hochdeutsch gesprochen, sondern eine alte Variante des Niederdeutschen. Es tauchen Varianten wie Herlirode (um 1510), Halligerode (1542) und Harliroda (1606) auf.
Durchgesetzt hat sich am Ende aber die Reihenfolge Heregeltingerode → Herlingerode → Harlingerode.
Erste Deutungsversuche
Als älteste fassbare Persönlichkeit machte sich Richard Wieries (1864–1937) Gedanken zu der Namensbedeutung und stellte auch eigene Hypothesen auf. Richard Wieries war Vorsitzender des 1902 gegründeten Harzburger Altertums- und Geschichtsvereins und erstellte verschiedene Schriften zu den Wüstungen und Namen der Landstücke im heutigen Amtsbezirk. Gleichzeitig erstellte er im Jahre 1910 auch ein Werk namens Geschichte des Amtes Harzburg nach seinen Forst-, Flur- und Straßennamen, das kostenlos auf dem Online-Server der TU Braunschweig über diesen Link eingesehen werden kann.
Er deutete den Namen Harlingerode so:
„Was die Deutung anbelangt, so haben wir wohl die Rodung der Sippe eines Herilo vor uns, eines Kämpfers, Helden.“
Problematisch ist in diesem Zusammen der Erstbeleg, der auf „Heregeltingerod“ lautet. Der Bestandteil Heregelt steht im Konflikt mit dem Namen Herilo; ein Problem, das erst über ein Jahrhundert später wieder aufgegriffen wurde.Eine andere Deutung wurde im Altdeutschen Namenbuch von Ernst Förstemann verfolgt, das in Bonn in den Jahren 1913-1916 herausgebracht wurde. Anstatt den Erstbestandteil als Herilo zu deuten, sieht er hierin einen Personennamen Herigold.
Moderne Namensforschung: Ortsnamen des Landkreises Goslar
Im Jahre 2018 brachten die Sprachwissenschaftlerin Kirstin Casemir und der Sprachwissenschaftler Uwe Ohainski im Niedersächsischen Ortsnamenbuch das Werk Die Ortsnamen des Landkreises Goslar heraus. Es ist eine wissenschaftliche Abhandlung zu sämtlichen Ortsnamen samt Wüstungen, deren Ursprung bis in die frühe Neuzeit geht. Das Buch kann online über diesen Link bestellt werden und läuft über die ISBN 9783739511627.
Sie übernehmen die Deutung von Richard Wieries nicht, sondern setzen den Erstbestandteil von „Harlingerode“ auf den Namen Herigold an. Der ausschlaggebende Faktor ist der Beleg aus dem Jahr 1053 mit dem Namen „Heregeltingerod“.Herigold wird laut dem Werk als ein mehrfach bezeugter Vorname genannt. Als Erstglied des Namens Herigold nennen sie den Personennamenstamm harja mit der Bedeutung „Heer, Menge, Volk“. Das zweite Glied beziehen sie auf eine Wortwurzel die mit Geld verwandt ist und auf ein Wort gelthan zurückzuführen ist.
Somit wurde Harlingerode von einem Menschen gegründet oder nach ihm benannt, der Herigold geheißen hat. Diesen Namen gibt es heutzutage nicht mehr, sehr nah mit ihm verwandt ist aber der moderne Namen Harald, dessen namentlicher Erstbestandteil ebenfalls vom heutigen Wort Heer stammt. Da der Name „Heregeltingerod“ mit seinen sieben Silben sehr lang und deshalb unpraktisch auszusprechen war, wurde er ziemlich früh zu Herlingerode gekürzt. Um etwa 1600 wurde das -e- schließlich zu einem -a- „gesenkt“, also anders ausgesprochen, sodass daraus das heutige Harlingerode wurde.
Weitere Informationen
Die pensionierte Lehrerin und Lokalautorin Sieglinde Bauer veröffentlichte in der 134. Ausgabe des Uhlenklippenspiegels (Mai - August 2022) in dem Artikel 'Der Name "Harlingerode"' eine kritische und wissenschaftlich gründliche Theorie zum Harlingeröder Ortsnamen. Natürlich ist der Interessentenkreis winzig; dennoch soll hier hervorgehoben werden, dass diese Analyse nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt und unterschiedliche Ansichten existieren.
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